Sonderausstellung vom 11. April bis 9. November 2025
ANNA MLASOWSKY – Material & Identity
Die Retrospektive widmet sich dem vielschichtigen Werk der 1984 in Deutschland geborenen, in Seattle/USA ansässigen und als Professorin in Stockholm tätigen Künstlerin Anna Mlasowsky. Präsentiert werden Skulpturen, Klang- und Video-Installationen sowie Wandarbeiten. Im Fokus stehen Objekte, die sich auf immer neue Weise mit der Materialität von Glas und seinen semantischen und physikalischen Eigenschaften auseinandersetzen. Es geht um die Erforschung technischer Aspekte und generell um das Ausloten von Grenzen. Jedes Objekt steht für eine eigene Geschichte, die mit Glas in Berührung steht. Dabei werden auch die Bereiche Identität, Gender und Zwischenmenschlichkeit thematisiert.
Wie kaum eine andere internationale Künstlerin befasst sich Anna Mlasowsky in immer neuen Ansätzen und Konzepten mit Glas. Ihr konsequentes, auch wissenschaftliche Fragen einschließendes Vorgehen eröffnen neue Sichtweisen auf ein Material, das oft nur wegen seiner Schönheit wahrgenommen wird. Die Ausstellung bietet hier spannende und überraschende Einblicke.
Anna Mlasowsky ist Professorin für Glas und Keramik am Department of Crafts an der Konstfack in Stockholm, einer der bedeutendsten Kunsthochschulen Skandinaviens. Sie wurde mehrfach international ausgezeichnet, u.a. beim Coburger Glaspreis 2014 und der Toyama International Glass Exhibition 2021. Zudem ist sie als Kuratorin und auch Jurorin tätig und kann auf eine eindrucksvolle Reihe an internationalen Ausstellungen zurückblicken. Ihre Arbeiten befinden sich weltweit in Museen und Privatsammlungen.
Interview mit Anna Mlasowsky anlässlich ihrer Ausstellung „Material & Identity“ und des internationalen Frauentags am 8. März 2025
- Am 11. April öffnet im Europäischen Museum für Modernes Glas in Rödental Ihre Ausstellung mit dem Titel „Material & Identity“. Die Ausstellung ist als Retrospektive Ihrer bisherigen Schaffensphase angelegt. Dabei stellen Sie neben Skulpturen auch Grafiken und Videoinstallationen aus. Welchen Fokus wird die Schau haben und nach welchen Kriterien haben Sie Ihre Objekte ausgewählt?
Die Auswahl der Objekte wurde durch den Kurator Sven Hauschke in Rücksprache mit mir getroffen. Er hat Arbeiten so zusammengestellt, dass Sie die Bandbreite und den Leitfaden meiner Arbeiten widerspiegeln.
Die Ausstellung vertritt Arbeiten meines gesamten bisherigen Schaffens und dokumentiert auch die inhaltlichen Veränderungen, die meine Arbeiten durchlaufen haben. Am Anfang stand die Auseinandersetzung mit dem Material und den handwerklichen Traditionen des Werkstoffs. Meine frühen Arbeiten beschäftigen sich jedoch durchaus auch mit dem Thema Identität, wobei das Material verbindendes Element war. Der Werkstoff an sich besteht aus vielen konträren Eigenschaften. Anders als alle anderen Materialen ist er zugleich opak und transparent, sehr zäh und zerbrechlich sowie sowohl flüssig als auch fest zugleich, da es ein amorpher Feststoff ist. Diese Andersartigkeit wird im Glas verkörpert und ich habe sie immer dazu genutzt, um menschliches Anderssein und Queerness auszudrücken.
- Als Künstlerin beschäftigen Sie sich auch mit ihrer eigenen Identität. Wie drücken Sie Ihre Identität durch Kunst aus?
Ich habe mich mein Leben lang als Außenseiterin gefühlt. Zum einen, weil ich als ostdeutsches Kind in einem wiedervereinigten, jedoch ungleichen Deutschland aufgewachsen bin und zum anderen weil ich als Waldorfschulkind nicht in das System passte; sowie durch meine durch Lernschwäche und Neurodivergenz angetriebene Aufmüpfigkeit, als queere Person, Immigrantin (USA und Schweden) und Frau, die nicht in die Frauenrolle passt.

As advertised, 2019
Diese Schichten der Außenseiterin kommen in meinen Arbeiten auf unterschiedliche Weise zum Tragen. In manchen Arbeiten wie „As Advertised“ wird die Auseinandersetzung mit genderspezifischer Prägung durch die Medien sehr deutlich. In wieder anderen Arbeiten wie „Sound-Visions“ ist meine Neurodivergenz nur als Inspiration vertreten, indem ich mich mit Klang und Schwingungen auseinandergesetzt habe, um meine Wahrnehmung von Tönen physisch zu visualisieren.

Sound Vision, 2013
- In Ihren Arbeiten spielen feministische Themen eine bedeutende Rolle. In Ihrer Reihe „Things That Talk“ setzen Sie sich in Werken wie „Estrogen“ oder „Mothership“ dezidiert kritisch mit den traditionellen Erwartungen an Frauen auseinander. Wie spiegelt sich dies in Ihren Arbeiten wider?
Seit ungefähr 2014 treten immer stärker Themen zu standardisierten Rollenbildern in den Vordergrund. Die Grundlage dafür sind zum einen persönliche Erfahrungen als Frau und der Frauen in meinem Umfeld und zum anderen die politischen Debatten um die Selbstbestimmung der Frauen. Für die Ausstellung „Things That Talk“ habe ich ausschließlich intuitiv gearbeitet und alle Skulpturen sind gleichzeitig in einem Zeitraum von vier Monaten entstanden. Ich hatte keine klaren Vorstellungen, was ich erschaffen wollte oder warum. Ich habe keine Zeichnungen gemacht, sondern nur Formen angefertigt, die ich im Kopf hatte und dann geschaut, wie sie zusammenpassen. Dabei hat sich selbständig ein Thema herauskristallisiert.
Ich habe mich darauf konzentriert, Materialien, Texturen und Formen zu verwenden, um eine Reihe humanoider, aber nicht figurativer Skulpturen zu erschaffen. Als sie Gestalt annahmen, wurde mir klar, wie ich auf natürliche Weise gelebte Erfahrungen, bohrende Fragen und Ablehnungen von Geschlechterrollen, traditionellen Vorstellungen von Frauen und Mutterschaft, zärtlicher Intimität und dem Alterungsprozess materialisiert hatte.

Overextended / Things that talk
Ich kann das am Beispiel von „Overextended“ zeigen: Im Vordergrund sind gläserne Hüften mit vier Beinpaaren aus Bienenpollen und medizinischen Gummischläuchen verbunden. An dem Podest stehen gegossene Füße aus Glas, die ihre Zehen um den Rand der Plattform krallen. Auf der Rückseite des Podestes ruht eine gepresste Glasausternschale mit einer großen Klitoris-Perle darin.
Im Hintergrund sind die Stücke „Hands Free Ultramarine“ aus blauem Porzellan, Holz, blauem Ziegenleder und eine Madonna-Figur aus gegossenem Glas zu sehen, aus deren Arm das Kind entfernt wurde. An der Wand hängt das Stück „Cradle Cock“ aus Glas, Kunststoffschläuchen, Spandex-Stoff und Latex. Durch die Kombination von Materialien wie Holz, Bienenpollen, Milchpulver, Mohnsamen, Gips, Stoff, Fell, Keramik und Glas konnten die Skulpturen eine narrative Struktur aufbauen, die auf dem strukturellen und assoziativen Dialog beruht, der sich aus der Nähe der Materialien zueinander ergibt.
- Neben der Identität geht es in der Ausstellung auch um Material. Welche Möglichkeiten bietet Ihnen Glas und was macht für Sie den Reiz an der Nutzung von Glas aus?
Ich arbeite so gerne mit Glas, da ich es weniger als Material ansehe, sondern als Verlängerung meines Charakters. Es verkörpert mit all seinen sehr unterschiedlichen Eigenschaften, die es in unterschiedlichen Zuständen erhält, die Flexibilität der Persönlichkeitsdefinition, die ich in mir empfinde. Um es zu verbildlichen habe ich selbst oft das Gefühl, dass ich in einer Beziehung mit dem Werkstoff bin und sich diese Beziehung konstant entwickelt. Daher bin ich dem Material immer treu geblieben, erweitere jedoch mein Repertoire und würde sagen, dass ich mich nun in einer polyamorösen Beziehung befinde. Dabei ist der besondere Reiz an Glas der, dass ich es so wenig kenne, obwohl ich genau weiß, dass es so vielfältig ist.